Stimmen zum Film

Der Film Berlin. Die Sinfonie der Großstadt ist 1927 erschienen, zu dieser Zeit ist Berlin eine dynamische, weltoffene und moderne Metropole. Die Folgen des Ersten Weltkriegs sind nicht mehr überall spürbar, aber Reichtum und Armut liegen – damals wie heute – eng beieinander. Nach den ersten Krisenjahren mit einer Hyperinflation ist die junge Demokratie der Weimarer Republik in einer stabileren Phase, bevor sich mit dem Hereinbrechen der Weltwirtschaftskrise nach dem New Yorker Börsencrash 1929 der Aufstieg der Nationalsozialisten verstärkte.

Hinweis

Der Regisseur über seinen Film

Der Berlin-Film gab mir Gelegenheit zu beweisen, daß es heute möglich ist, Filmkunst ohne jede Kompromisse zu zeigen. Mit manchem mußte gebrochen werden. Hier sollten keine Darsteller spielen, sondern die erschütternde Gebärde des sich unbeobachtet glaubenden Menschen mußte eingefangen werden. Das konnte natürlich nur dadurch gelingen, daß ich mich an die ahnungslose Menschheit heranschlich wie der Jäger an sein Wild. Die zweite Forderung war: straffste Organisation des Zeitlichen nach streng musikalischen Prinzipien. Dieser streng musikalische Charakter im Aufbau des Films gab dem Komponisten Edmund Meisel die Möglichkeit, in bahnbrechender Weise die filmische Sinfonie durch eine musikalische zu ergänzen und zu steigern, so daß hier zum ersten Mal Filmmusik selbständiger Faktor des Gesamtwerkes wurde. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, mit diesem Rüstzeug zu zeigen, daß Leben, alltägliches Leben, spannend, eigenartig und dramatisch ist, auch ohne Literatur und Theater.

(Walter Ruttmann im Programmheft zur Premiere im Tauentzienpalast in Berlin, zitiert nach: Hans Borgelt: Die Ufa – ein Traum. Berlin 1993, S. 104)
https://filmundgeschichte.com/berlin-die-sinfonie-der-grossstadt-1927#tab-derregisseurzuseinemfilm

Aufgabe 1

  1. Markiere Kernaussagen, die die Arbeit am Film und das fertige Ergebnis charakterisieren. Tippe dazu auf einzelne Satzteile.
  2. Bewerte die Aussagen des Regisseurs: Findest du diese insgesamt
  3. Am Ende des Zitates fasst Ruttmann sein Vorhaben zusammen. Markiere diese Passage und erläutere, ob ihm sein Vorhaben gelungen ist?

Auszüge aus Filmkritiken

Kritiken zeigen oft ganz verschiedene Sichtweisen auf ein Kunstwerk bzw. einen Film. Sie beinhalten zumeist nacherzählende Erläuterungen des Films für die Leserschaft mit der Hervorhebung von Kritikpunkten, die positiv oder negativ bewertet werden.

„Ein guter Gedanke: die Großstadt zu fassen, wie sie ist, Aufnahmen zu machen, die nicht ‚gestellt‘ sind. Sehenswert, was dem Regisseur Ruttmann und den vorzüglichen Operateuren gelungen ist. Und doch ein durchgehender Fehler. Ein Fehler, der bewirkt, daß alles, was wir sehen, irgendwie chaotisch, sinnlos erscheint. Ein Fehler, der auch die äußeren Mängel verursacht. Denn trotz des sausenden, buntwechselnden Inhalts, des ,Tempos‘, empfindet man manches als Längen, besonders den Verkehr. Es fehlt die Leitidee. Es fehlt die Handlung der Großstadt. Die Großstadt Berlin erscheint hier ohne ihren geschichtlichen Charakter, ohne konkreten Zweck.Die Autoren wollten ohne Tendenz darstellen. Aber die Wirklichkeit ist verkörperte Tendenz. Berlin ist eine kapitalistische Großstadt. Der Kapitalismus gibt ihr sein Gepräge: die Jagd nach Profit. Jede Minute in dieser Stadt ist ausgefüllt von Klassengegensatz und Klassenkampf. Und diese geschichtliche Tendenz muß erfaßt und dargestellt werden. Wer das nicht tut, filmt bloß Fassade. Die ‚Objektivität‘ schlägt in ihr Gegenteil um.(Besonders, wenn der einzige politische Moment des Films ein – Hindenburg-Moment ist.) […]“

Paul Friedländer, in: Rote Fahne, 25.09.1927; zitiert nach Weimarer Republik: a.a.O., S. 483 https://filmundgeschichte.com/berlin-die-sinfonie-der-grossstadt-1927#tab-zeitgenssischefilmkritiken

„Ruttmann […] bleibt an der Oberfläche. Er zeigt den Rhythmus, das Leben der Stadt, doch er dringt nicht tiefer ein, er zeigt nicht den Berliner Menschen, der diesen Rhythmus treibt, er enthüllt in dieser Sinfonie der Großstadt nicht die Seele des Großstädters. Aber hiervon abgesehen ist ein prachtvoller Film entstanden, ein Film, der durchaus filmisch gestaltet ist, der allein durch das Bild und den Rhythmus wirkt und der nur Bilder aus der Wirklichkeit bringt.“

N. N. Vorwärts vom 25.09.1927. Zitiert nach: Guntram Vogt: Die Stadt im Kino. S. 174

„Hier ist endlich einmal etwas geschehen; und nehmen wir nur das Primitivste von all‘ dem, was hier geschehen ist, so ist‘s schon lobenswert: der entschlossene Bruch mit dem Spielfilm, mit dem Schauspieler- und Schauspielerregisseurfilm.Das resolute, couragierte Sich-Stellen auf die eigentlich filmischen Prinzipien: Bildfolge, Bildlänge, Bildeinstellung, Prinzip des Vorübergleitens (statt der falschen Geometrie des Dramas) –: organisch begründet im Vorübergleiten des Filmstreifens am Zuschauer.“

Willy Haas, Film-Kurier, Nr. 226, 24.9.1927 https://www.filmportal.de/node/51535/material/764622

„Ruttmanns Film ist keine Sammlung photographischer Aufnahmen Berlins. Diese große Stadt ist als Schauplatz eines unendlich differenzierten Lebens erfühlt, eines Daseins, das sich in den tausend und aber tausend Episoden des täglichen Lebens verwirklicht und das in seiner Gesamtheit dieses berauschende, überwältigende Gefühl ‚Weltstadt‘ ergibt. Von diesem Erlebnis ist Ruttmann getragen, und dieses Gefühl zu einem mächtigen Akkord anschwellen zu lassen, ist die ästhetische Aufgabe dieses Films, der sich nicht mit Unrecht als ‚Symphonie‘ bezeichnet.Denn sein Aufbau ist durchaus kompositorisch gedacht, die Linienführung verrät die Hand des komponierenden Gestalters– Akkorde, Dämpfungen, Prestissimos, Adagios wie in der Musik. Das ist die Großstadt, wie sie ein Künstler erfühlt, eine Gestaltung aus Eisen, Blut und Licht – erfüllt von dem mächtigen Brausen des Lebens, das von diesem Film in das Parkett überspringt und es überwältigt.[…]“

Rudolf Kurtz, Lichtbild-Bühne, Nr. 229, 24.9.1927 https://www.filmportal.de/node/51535/material/764626

„Die Musik des ‚Berlin‘-Films komponierte Edmund Meisel. Zum erstenmal tritt damit die Filmmusik gleichberechtigt, gleich wertvoll, neben den Film: verschmilzt mit ihm zu einem Ganzen. Nicht mehr Komposition zum Film; vielmehr musikalischer Teil des Werks.

Als Form der Vertonung wählte Meisel die Symphonie, das thematische, in sich gesteigerte, mit einheitlicher Linie durchkomponierte Ganze. Dabei hatte er zweierlei Möglichkeit: er konnte, aus dem Erlebnis des Films heraus, eine Musik schaffen, musikalisches Erleben der Großstadt.

Er konnte aber auch das Wesen des Films ins Musikalische transponieren. So entstand sein Werk, im Ausdruck dem Film entsprechend. Akustisches Erleben synchronisiert dem Optischen. Eine photographierte Musik. […]

Meisels Stärke liegt im Rhythmus. Den baut er auf, steigert er, das Thema immer wieder aufnehmend, umformend, höher peitschend. Bis zum Schrei: Berlin. Hier zuckt es, wächst, reißt mit, reiht den letzten Zuschauer ein, in die große Front der zur Arbeit Schreitenden. Alle Schranken niederreißend, mit der Gewalt des Kollektiverlebens. Stärkster Ausdruck des Kollektivgefühls einer kommenden Gemeinschaft.“

Hans Feld: Die Symphonie des „Berlin“-Films. Film-Kurier, Nr. 226, 24.9.1927. https://www.filmportal.de/node/51535/material/764624

„Ein Film, der […] an einem Schlagwort unserer Zeit gescheitet ist: am ‚Rhythmus‘. Er ist ein ganz verhängnisvolles Schlagwort, dieser ‚Rhythmus‘. Eine Großstadt, eine Weltstadt, ein ‚heutiges Leben‘ muß Rhythmus haben, man muß den ‚Rhythmus‘ verstehen, in ihm leben, in ihm ‚schwingen‘, – was weiß ich, was man sonst noch mit diesem unglücklichen ‚Rhythmus machen muß. […] Aber – das Schlagwort ist nun einmal da, also muß der Film, der arme, ihm gleichfalls dienen. […]

Es ist, wie das Programm richtig bemerkt, ein Experiment, ein mutiges, verdienstvolles Experiment, ein gedankliches und vor allem ein technisches Experiment. Und eins, das nicht gelungen ist. Das nicht gelingen konnte! Berlin ist nämlich viel zu wenig Oberfläche, viel zu wenig äußere Form. Berlin ist eine ungeheure, eine mit einem einzigen Film nicht zu umspannende Vielfalt, ist eine seelische Tiefe, ein großes Glück und ein riesengroßes Elend. Berlin ist eine immense Seele, ist Qual und Vernichtung, ist Aufstieg und Hoffnung. Berlins tiefstes innerliches Empfinden, ist unermeßliches Schicksal der Herzen. Und hat verflucht wenig mit Katzen und Tanzbar und Hochbahn zu tun. […]“

J-s: Berlin. Symphonie der Großstadt. In: Die Filmwoche. Berlin. Nr. 40 vom 5.10.1927. S. 949f

Aufgabe 2

  1. Kopiere Passagen in den Filmkritiken, die sich positiv oder negativ über den Film äußern, und füge diese in die Tabelle ein. Bewerte die Aussagen: Findest du diese richtig oder falsch?
Aussagen positiv/negativ Bewertung

Eigene Filmbewertung

Du hast dich intensiv mit verschiedenen Urteilen über den Film auseinandergesetzt. Jetzt kannst du den Film selbst bewerten.

Aufgabe 3

  1. Gebe dem Film eine Kurzbewertung, wie sie oft in Programmzeitschriften oder im Internet zu finden ist: Markiere so viele Sterne, wie der Film deiner Meinung nach erhalten sollte:  6 Sterne = sehr gut bis 1 Stern = ungenügend (also umgekehrt zu den Schulnoten).
  2. Schreibe eine kurze Begründung, die du auch im Internet posten könntest. Nimm dabei auch Bezug auf die Inhalte aus der Tabelle (mindestens 3 Aussagen).