„Ich beschäftige mich sehr gerne mit Optiken. [...] Wir hatten sphärische Optiken für den einen
Erzählstrang und wir hatten die anamorphen
Optiken für die anderen beiden. Und dann war das eben die Idee. Und weil das halt
was ist, was man
eigentlich nicht sieht, aber irgendwie doch spürt.”
Mariko Minoguchi, Regisseurin von Mein Ende. Dein Anfang.
Optiken ist ein Begriff, der von Filmemacher*innen oft als Synonym für Objektive verwendet wird. Über die
Kameraobjektive, die bei der Erstellung eines Film zum Einsatz kamen, erfahren die Zuschauer*innen meistens
sehr
wenig. Das hängt mit dem Charakter von Objektiven zusammen, die im Prinzip lediglich das Licht durchlassen,
damit es auf den Film oder Sensor fällt. Objektive sind also auf den ersten Blick eine Form von Technik, die
man gar nicht wahrnimmt. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn die Optiken haben
einen
entscheidenen Einfluss darauf, wie das Geschehen vor der Kamera abgebildet wird.
Die ersten Kameras bestanden aus einem lichtdichten Kasten mit einem kleinen Loch in der Wand (Camera
obscura). Heutige
Kameras und Filmkameras nutzen stattdessen Objektive (Optiken). Diese bestehen meist aus einer oder mehreren
geschliffenen Glaslinsen, die Licht bündeln
und ein Bild erzeugen, ähnlich wie das menschliche Auge. Moderne Objektive sind komplexe Systeme aus mehreren
Linsen und
bestimmen maßgeblich das Aussehen des Bildes. Häufig werden Objektive bildlich als das „Auge der Kamera“
bezeichnet, das den filmischen Raum definiert.
Objektive: Einteilung nach Brennweite
Auf Grundlage der Brennweite, d. h. dem Abstand der Aufnahmeebene
(Film
oder digitaler Sensor) von der
Hauptebene des Objektivs, lasssen sich drei Grundtypen von Ojektiven unterscheiden: Normalobjektive, Teleobjektive, Weitwinkelobjektive und die extreme Form des Weitwinkels,
die Fischaugenobjektive. Alle diese Objektive haben spezifische optische
Eigenschaften, die das Bild bezüglich Raum- und Tiefenwahrnehmung, perspektivische Verzerrungen
(Verzeichnungen)
und Schärfe-/Unschärfeverteilung verändern.
Alle Beispiele für unterschiedliche Brennweiten aus dem Film Cleo, Regie Eric Schmitt,
Deutschland 2019. Mehr zu Cleo im Filmbildungskurs Sek I
Objektive: Einteilung nach Form der Linse
Neben der Einteilung nach der Brennweite gibt es auch eine weitere Einteilung von Objektiven, die sich auf
die Form der Linsen bezieht. Bei einem sphärischen Objektiv haben die Linsen eine sphärische
Form. Das bedeutet, die
Oberfläche dieser Linsen ist gekrümmt wie eine Kugel oder ein Teil davon. Diese Art von Objektiv ist die
häufigste und wird
in den meisten Kameras verwendet.
Ein anamorphes Objektiv basiert nicht auf einer Kugellinse, sondern auf einer Linse mit einer
elliptischen oder zylindrischen Form (und ist damit asphärisch). Anamorphe Objektive werden in der
Filmproduktion eingesetzt, um ein
breiteres Bild auf einem herkömmlichen Film- oder
Sensorsystem aufzunehmen. Diese Objektive komprimieren das Bild horizontal, sodass mehr von der Szene auf den
Film oder
Sensor passt. Später wird das Bild in der Postproduktion entzerrt, um das gewünschte breite Seitenverhältnis
zu
erzeugen. Aber auch hier gilt: Anamorphe Objektive haben optische Eigenschaften, die
das Bild charakteristisch verändern, ihm also einen speziellen Look verleihen.
„anamorph“ - Begriff, Herkunft und Bedeutung für den Film
Woher kommt der Begriff „anamorph” und was bedeutet er?
Das Adjektiv „anamorph” (ausgesprochen [anaˈmɔrf], was sinngemäß „umgestaltet“ bedeutet und aus dem
Griechischen stammt)
beschreibt einen Zustand, bei dem ein Bild im Vergleich zum Original verzerrt ist. Besonders in der
technischen Optik
verwendet man auch das Wort „anamorphotisch”, um die verzerrende Wirkung eines optischen Systems zu
beschreiben. Die entsprechenden Foto- und Filmobjektive werden daher auch „Anamorphoten” genannt.
Was ist eine anamorphotische Abbildung?
Eine anamorphotische Abbildung ist eine verzerrte Darstellung eines Bildes oder Objekts, die nur aus
einem bestimmten
Blickwinkel oder mithilfe eines speziellen Spiegels in ihrer normalen Form erkannt werden kann. Diese
Technik wird seit
Jahrhunderten in der Kunst und später auch im Film verwendet, um besondere visuelle Effekte zu
erzielen.
Anfänge in der bildenden Kunst
Die anamorphotische Abbildung wurde bereits im 16. Jahrhundert in der bildenden Kunst eingesetzt.
Künstler*innen nutzten diese
Technik, um Bilder so zu verzerren, dass sie zunächst unverständlich oder chaotisch wirkten. Erst wenn
die Betrachter*innen aus
einem bestimmten Winkel schauten oder einen zylindrischen Spiegel benutzten, erkannten sie das
ursprüngliche Bild. Solche Werke sollten den Betrachter überraschen und gleichzeitig auf die
machtvollen Möglichkeiten der Perspektive
hinweisen.
Ein berühmtes Beispiel ist das Gemälde „Die Gesandten“ von Hans Holbein dem Jüngeren (1533). In diesem
Werk ist ein
verzerrter Totenschädel am unteren Rand des Bildes zu sehen, der nur aus einem schrägen Blickwinkel
als solcher
erkennbar wird. Das Bild war für einen Treppenaufgang vorgesehen, die Betrachter*innen sahen beim
Hochgehen zunächst den Totenschädel als Symbol für die Vergänglichkeit irdischen Wohlstands.
Die Gesandten (Hans Holbein der Jüngere), 1533, Originalformat 206 cm × 209 cm,
National Gallery London.
Anamorphose im Film
Mit der Erfindung der Fotografie und später des Films fand die anamorphotische Abbildung eine neue
Anwendung.
Der Übergang zu anamorphotischen Optiken im Hollywood der 1960er Jahre hatte mehrere wirtschaftliche
Gründe, die eng mit dem Wettbewerb durch das sich in Privathaushalten immer weiter verbreitende
Fernsehen und der
Notwendigkeit, das Kino als einzigartiges Medium zu positionieren, verbunden waren:
In den 1950er Jahren begann das Fernsehen eine ernsthafte Konkurrenz für das Kino
zu werden. Um die Zuschauer*innen ins Kino zu locken und ein unverwechselbares Erlebnis zu bieten,
suchten Filmstudios nach
Techniken, die das Fernsehen nicht bieten konnte. Anamorphe Optiken ermöglichten es, Bilder ohne
Qualitätsverlust auf Standard-Filmmaterial in einem breiten Seitenverhältnis aufzunehmen. Diese
Objektive verzerren das Bild beim Filmen horizontal, sodass es gestaucht wird und auf das Filmmaterial
passt. Bei der Projektion im Kino
wird das Bild dann wieder entzerrt, wodurch ein breites Bild im Kinoformat (Breitbildformat, z. B. CinemaScope)
entsteht. Dieses Verfahren erlaubte es Filmemacher*innen, epische, weitläufige Szenen einzufangen, die
auf einer herkömmlichen Filmleinwand (oder gar im Fernsehen) nicht so eindrucksvoll wirken würden, was
das Kinoerlebnis visuell beeindruckender und immersiver machte.
Ein Beispiel dafür ist der Film Lawrence von Arabien (1962), der in
einem extrem breiten Format gedreht wurde. Die
Verwendung von anamorphotischen Objektiven ermöglichte es dem Regisseur David Lean, die beeindruckenden
Wüstenlandschaften in ihrer
ganzen Weite darzustellen.
Charakteristiken von sphärischen Objektiven
Insgesamt klares, realistisches Bild (nahe an der Alltagswahrnehmung)
weniger ausgeprägte runde Lichtreflexe (Lens flares)
eher gleichmäßige Bildverzerrung (in Abhängigkeit von der Brennweite)
gleichmäßige Schärfeverteilung
Tiefenwirkung bei sphärischen Objektiven ist gleichmäßiger und weniger stark ausgeprägt. Die
Beziehung zwischen
Vorder- und Hintergrund erscheint natürlicher und weniger dramatisch.
Umrisse von Figuren und Objekten im Vordergrund wirken klar abgesetzt vom Hintergrund.
Charakteristiken von anamorphen Objektiven
„Cinematic look”: weicher, eher künstlerisches und dramatisches Bild
Bild kann in der Horizontalen unschärfer sein als in der Vertikalen (ungleichmäßige
Schärfeverteilung)
Besondere Tiefenwirkung, insbesondere in der Horizontalen. Das Bild kann
„räumlicher“ oder „tiefer“ wirken.
Umrisse von Figuren und Objekten im Vordergrund wirken weniger klar abgesetzt vom Hintergrund.
Objektive gehören zum Werkzeugkasten von Filmemacher*innen und werden gemäß der gewünschten
Abbildungseigenschaften eingesetzt. Häufig gilt es z.B. Lichtfreflexe (Lens flares) zu vermeiden aber
in
einigen Filmen sind diese auch als gezieltes Ausdrucksmittel erwümscht (z.B. im Genre Science-Fiction). Manchmal sollen Filmbilder möglichst realistisch und
scharf aussehen, ein anderes Mal ist eher ein dramatischer Look und ein eher weiches Bild mit ausgeprägten
Unschärfebereichen gewünscht. Die meisten Filme
bleiben bei einem Objektivtyp (sphärisch oder anamorph), um ein kohärentes Bild zu erhalten. Der Wechsel von
Objektiven mit unterschiedlichen Brennweiten ist meist kein großer
technischer, logistischer und finanzieller Aufwand. Entscheiden sich Filmemacher*innen
jedoch für den Aufwand, einen Film mit sphärischen und anamorphen Objektiven zu drehen, so ist
damit fast immer eine bestimmte visuell-erzählerische Strategie verbunden, wie z.B. über die
unterschiedlichen Optiken etwas abzugrenzen oder eine Entwicklung zu zeigen.
Wenn du dein Wissen über Technik und Wirkungsweise von sphärischen und anamorphen Objektiven anhand von
zahlreichen Beispielen aus der neueren Filmgeschichte vertiefen möchtest, empfehlen wir dir dieses YouTube-Video von Studio
Binder (Tonspur Englisch).
Aufgabe 1
In Mein Ende. Dein
Anfang. wurden die verschiedenen Brennweiten der Objektive eher unauffällig und ganz im Sinne eines immersiven Erzählens eingesetzt. Mariko Minoguchi und ihr Kameramann Julian Krubasik haben sich hingegen bewusst dafür entschieden, den Film mit sphärischen und anamorphischen Optiken zu realisieren.
Versuche, die Bilder, die mit anamorphen und mit sphärischen Objektiven
erstellt wurden, in der Gegenüberstellung zu unterscheiden. Tippe dazu Bilder in der Galerie an und ordne
sie auf der Arbeitsfläche entsprechend an. Markiere und kommentiere im unteren Bereich an ein oder zwei
geeigneten Bildern einige besonders deutliche visuelle Hinweise, die ausschlaggebend für deine Einordnung
sind.
Schau dir die deine Einordnung der Filmbilder aus Aufgabe 1 aufmerksam an. Kannst du in der Verwendung der
unterschiedlichen Optiken in Mein Ende. Dein
Anfang. ein erzählerisches Muster erkennen? Erläutere deine Vermutungen im Schreibfeld.
Aufgabe
2
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Aufgabe 3
Das Drehen mit zwei verschiedenen Optiken ist teuer. Die Filmemacher*innen müssen das doppelte Equipment
finanzieren und die verschiedenen Optiken müssen am Set gewechselt und eingestellt werden (mit der
Finanzierung des Films kannst du dich im Modul Die deutsche Filmwirtschaft beschäftigen). Daher ist die
Entscheidung von Mariko Minoguchi, ihr Langfilmdebut Mein Ende. Dein Anfang.
mit unterschiedlichen Optiken zu realisieren, bemerkenswert. Stelle Vermutungen darüber an, welche Gründe
sie zu dieser künstlerischen Entscheidung bewogen haben könnten. Überlege,
welche Produktionsbedingungen bei der Umsetzung unterstützend gewirkt haben könnten.
Aufgabe
3
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Aufgabe 4
Es gibt eine Szene im Film, die sowohl mit sphärischen als auch mit anamorphen Optiken gefilmt wurde. Hast
du eine Vermutung, um welche Szene es sich handelt
und warum diese mit beiden Optiken gefilmt wurde?
Aufgabe
4
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